M&A-Strategie

Dr. Christoph Thierolf, Head of M&A erörtert wichtige Fragen für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) in Europa, die in Betracht ziehen, M&A-Aktivitäten durchzuführen

In fast jedem Unternehmen ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem die Möglichkeiten des derzeitigen Geschäftsumfangs ausgeschöpft sind. Bestehende Märkte sind gesättigt, das Wachstum verlangsamt sich, und es wird deutlich, dass weiteres Wachstum nur über weitreichende strategische Entscheidungen generiert werden kann. Hier kommen eine Fusion, eine Übernahme oder eine Finanzierung mit Private-Equity-Kapital in Frage.

Doch Schätzungen zufolge verfehlt mindestens jede zweite M&A-Transaktion ihr Ziel und die gewünschten Ergebnisse werden nicht erreicht. Damit Ihr nächster Schritt zum Ziel führt und zu Ihren Bedingungen erfolgt, ist es wichtig, sich die richtigen Fragen zu stellen. Welche das sind, haben wir im Folgenden mit Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Europa zusammengefasst.

1. Wie sieht unsere mittel- bis langfristige Strategie aus?

Unter der Annahme, dass weiteres Wachstum als erstrebenswert gilt: Was ist aus Sicht des Managements die effektivste Maßnahme, um dieses Ziel zu erreichen? Wird Wachstum am besten durch die Erschließung neuer Märkte und Regionen mit dem bestehenden Angebot oder durch die Erweiterung des Angebots mit neuen Produkten und Leistungen erreicht?

Die Ausweitung bestehender Geschäftsaktivitäten auf neue Märkte ist im Allgemeinen der einfachere Weg (Es sei denn, Ihr Unternehmen ist in einer Branche wie dem Gesundheitswesen tätig, wo strenge Regulierungen die Expansion in andere Märkte erschweren). Dann stellt sich die Frage, ob Sie Ihre Marktpräsenz selbständig aufbauen können oder in fremden Märkten auf einen strategischen Partner als Distributionsplattform angewiesen sind.

Die Erweiterung der eigenen Produktpalette ist dagegen eine größere Herausforderung. Viele europäische KMU, zum Beispiel Maschinenbauer, haben sich eine bedeutende regionale oder sogar globale Marktposition als hochspezialisierter Nischenanbieter erarbeitet. Für diese Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie einen Partner oder ein Franchise finden, mit dem sie ihr Produkt- bzw. Technologieportfolio erweitern können, ohne ihre Kernkompetenz zu verwässern.

2. Welche neuen Märkte sollten wir in Betracht ziehen?

Eine globale Expansion ist dank förderlicher, länderübergreifender Gesetzgebung und dem Interesse ausländischer Investoren heute einfacher denn je. Wenn Ihnen aber die ganze Welt offensteht, bedarf es immer noch einer gründlichen Analyse, um die richtigen Zielmärkte zu identifizieren.

Entwickelte Märkte, die bereits über eine starke Nachfrage verfügen, sind häufig gleichfalls gesättigt, sodass die langfristigen Wachstumsperspektiven beträchtliche Investitionen unter Umständen nicht rechtfertigen. Weniger entwickelte Märkte bieten zwar in der Regel ein größeres Wachstumspotenzial, gehen aber mit höheren politischen und wirtschaftlichen Risiken einher.

Vor jedem neuen Markteintritt müssen die regulatorischen, industriellen, kulturellen und ökologischen Rahmenbedingungen geprüft werden.

Von außen lassen sich die Strukturen eines Marktes aber nur schwer durchdringen. Wir empfehlen deshalb, Ressourcen abzustellen, die sich über einen gewissen Zeitraum persönlich im Zielmarkt aufhalten. Sollte dies nicht möglich sein – was bei kleinen Unternehmen häufig der Fall ist – knüpfen Sie Kontakte zu ähnlichen Unternehmen, die in diesen Märkten präsent sind, und lernen Sie von deren Erfahrung.

3. Welche Märkte unterstützen unsere Wertschöpfungskette?

Zwar können Partnerschaften in aufstrebenden Regionen wie beispielsweise Lateinamerika Ihren Kundenstamm erheblich erweitern. Ob sie auch Ihren Qualitätsansprüchen genügen, ist jedoch eine andere Frage. In vielen Fällen eröffnet sich Ihnen durch eine Expansion in neue Märkte die Chance, Ressourcen und Produktionskapazitäten zu noch günstigeren Kondition zu erschließen. Sie sollten sich jedoch sicher sein, dass jeder Schritt Ihre Wertschöpfungskette auch tatsächlich verbessert und nicht beeinträchtigt.

4. Wie können wir das Terrain ausloten?

Insbesondere für Familienunternehmen ist bereits die Diskussion einer Fusion oder Übernahme ein großer Schritt – und wird deshalb gern hinausgezögert. Wir raten in der Regel zu einem sehr offenen Dialog mit einem potenziellen Partner. Laden Sie ihn in Ihren Heimatmarkt ein und reisen Sie wiederum in seinen. Sobald Sie das Geschäft verstanden haben, können Sie an der Struktur einer möglichen Partnerschaft arbeiten.

Wichtig ist, dass Sie zu Beginn eine eher bescheidene Agenda austesten, beispielsweise für ein bestimmtes Produkt oder einen neuen, kleinen Kundenmarkt. Ist sie erfolgreich, kann beispielsweise ein Joint Venture gebildet werden - als Vorstufe einer strukturellen Konsolidierung.

Eine Schwierigkeit besteht darin, bei Produkt und Marketing in wichtigen Bereichen die Kontrolle zu behalten und dem Partner gleichzeitig so viel Freiheit einzuräumen, dass Sie seine Plattformen, Ideen und Vermarktungskapazitäten für sich nutzen können. Dazu ist eine Vereinbarung erforderlich, die klar definiert, welche Rolle und Aufgaben jedem Partner zukommen und welche Bereiche gemeinschaftlich verantwortet werden.

5. Sind wir uns einig, wie „Erfolg“ aussehen sollte?

Zwar ist es wichtig, der Art der anfänglichen Vereinbarung offen zu begegnen, doch sollte auch eine Partnerschaft auf Probe klare Ziele und Leistungskennzahlen (Key Performance Indicators – KPI) definieren, mit denen ihr Erfolg gemessen werden kann.

Da die Vorlaufzeiten in neuen Märkten ein Jahr oder länger betragen können, ist bei umsatz- oder akquisebasierten KPI Geduld gefragt. Trotzdem können gemeinsam vereinbarte, klar definierte und gut nachvollziehbare Indikatoren die richtigen Weichen für eine Partnerschaft stellen. Potenzielle Partner, die sich gegen klare Leistungskennzahlen sträuben, sollten mit Vorsicht betrachtet werden.

6. Erkennen wir, wenn eine Partnerschaft nicht funktioniert?

Manche Unternehmen scheuen vor einer Expansion zurück. Andere wiederum wagen den Schritt und tun sich anschließend schwer damit, zuzugeben, wenn eine Partnerschaft auf Probleme stößt oder von Grund auf neu durchdacht werden muss.

Steht ein solider Plan mit geeigneten KPI, gilt es zu handeln, wenn er nicht aufgeht, das Management nicht zu einer Einigung gelangt oder Ziele regelmäßig nicht erreicht werden. Verschwenden Sie keine Zeit damit, eine misslungene Partnerschaft wegen des betriebenen Aufwands und der getätigten Investitionen zu rechtfertigen.

7. Wann ist die Zeit reif für einen formellen Zusammenschluss?

Besonders in kleinen und mittleren Familienunternehmen sind Fusionen und Übernahmen oft ein strittiges Unterfangen, bei dem Emotionen das wirtschaftliche Urteilsvermögen trüben können. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein vollständiger Zusammenschluss, eine Übernahme oder ein Verkauf sinnvoll ist, spielen folgende Aspekte eine Rolle:

• Wie sieht Ihr langfristiger Plan aus und lässt er sich anders als durch eine Fusion bzw. Übernahme umsetzen? Versuchen Sie, durch den Zusammenschluss lediglich temporäre Probleme zu lösen oder geht es um langfristige Herausforderungen (beispielsweise eine Rezession)?

• Passen Ihre Strategie und die Ihres potenziellen Partners/Käufers gut zusammen oder sind erhebliche Zugeständnisse nötig, um gemeinsam zu funktionieren?

• Verhandelt die andere Partei aus einer starken Position heraus oder will sie mit der Transaktion eigene Probleme lösen?

• Scheint das Interesse des potenziellen Partners aufrichtig? Sitzt der CEO oder Eigentümer bereits bei den ersten Gesprächen mit am Tisch? Ist er an Folgeverhandlungen beteiligt? Sind Sie von der Führungsqualität überzeugt?

In jeder Fusionsverhandlung gibt es Reibungspunkte. Die Gespräche sollten aber konstruktiv verlaufen und kontinuierlich Fortschritte machen. Wenn Probleme wiederholt nicht gelöst werden können, sollten jedoch die Alarmglocken läuten.

8. Sind wir in der Lage, eine M&A-Transaktion erfolgreich durchzuführen?

Reichen Ihre Managementkapazitäten und Branchenkenntnis sowie Ihr Bewertungs- und Prozess-Know-how aus, um eine komplexe Transaktion innerhalb eines engen Zeitrahmens umzusetzen? Da derartige Transaktionen selten zu den Kernkompetenzen eines Unternehmens und seines Managements gehören, empfiehlt es sich bei Strukturierung und Abschluss des Geschäfts professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen, etwa eine Rechts- oder M&A-Beratung. Die erfolgreiche Integration im Anschluss an eine Fusion hängt wesentlich davon ab, ob mögliche Risiken und Konflikte früh erkannt und bereits vorab und/oder durch die vertraglichen Vereinbarungen gelöst wurden.

9. Was passiert, wenn wir ein Angebot ausschlagen?

Bei einem Übernahmeangebot sollten Sie nicht nur bedenken, was passiert, wenn Sie annehmen, sondern auch, was passiert, wenn Sie ablehnen.

Ein Käufer, den Sie zurückweisen, kann nach einer anderen Investitionsmöglichkeit suchen. Würden Sie sich mit einem neuen, größeren Wettbewerber auseinandersetzen wollen? Diese Frage ist besonders dann von Bedeutung, wenn Sie in einem Markt tätig sind, in dem sich bereits eine Konsolidierung abzeichnet.

Ein Verkäufermarkt

Letztendlich sollten Sie eine Fusion oder Übernahme nur dann durchführen, wenn Sie davon überzeugt sind, dass beide Unternehmen wirtschaftlich und kulturell gut zusammenpassen. Die gute Nachricht für europäische KMU: Die Nachfrage vor allem US-amerikanischer und asiatischer Investoren nach qualitativ hochwertigen Übernahmekandidaten ist groß. Die Bewertungen befinden sich auf einem Mehrjahreshoch und haben einen Höchststand erreicht. Hier zeigen sich die Effizienzsteigerung und die solidere Finanzlage, die die Unternehmen nach der Kreditkrise erreicht haben, ebenso wie die anhaltend hohe Marktliquidität, die diese Unternehmen mit erheblichem Akquisitionskapital ausstattet.

Über die Zyklen hinweg ist weiterhin mit Fusionen und Übernahmen in großem Umfang zu rechnen. Kurzum, europäische KMU profitieren seit Jahren von einem Verkäufermarkt. Daher können sie sich Zeit lassen, die richtigen Fragen stellen und zufriedenstellende Antworten einfordern, bevor sie weitreichende strategische Entscheidungen treffen.